Untersuchungen des beidäugigen Sehens
Beidäugiges Sehen, in der medizinischen Fachsprache als binokulares Sehen bzw. Binokularsehen bezeichnet, stellt eine zentrale Funktion unseres Sehvermögens dar. Dabei lassen sich sensorische sowie motorische Aspekte unterscheiden. Die sensorischen Binokularfunktionen umfassen das Simultansehen, die Fusionsfähigkeit und das räumliche Sehen bzw. Stereosehen (Stereopsis). Fixiert man ein Objekt mit beiden Augen, so liefert uns jedes Auge zunächst einen separaten Seheindruck. Das Simultansehen bezeichnet die gleichzeitige Wahrnehmung dieser beiden Seheindrücke. Erst nachdem sie vom Gehirn zu einem gemeinsamen Bild zusammengefügt wurden, kommt der in seiner Gesamtheit wahrgenommene Seheindruck zustande. Diese Fähigkeit unseres Gehirns wird als Fusionsfähigkeit bezeichnet. Grundlegende Voraussetzung für die Fusion beider Seheindrücke ist, dass die Punkte eines betrachteten Objekts genau auf der Mitte der Netzhaut abgebildet werden und die Augen bzw. ihre Sehachsen parallel zueinanderstehen. Die Fusionsfähigkeit ist die Basis für das räumliche Sehen, sowohl nah als auch fern. Für ein störungsfreies binokulares Sehen müssen beide Augen im Verhältnis parallel stehen und die Augenmuskeln im Gleichgewicht sein.
Störungen des beidäugigen Sehens
Das Binokularsehen kann durch vielfältige Ursachen gestört werden, etwa durch Schielerkrankungen (Strabismus) infolge eines Ungleichgewichts der äußeren Augenmuskeln. Kann ein Objekt nicht mit beiden Augen gleichzeitig fixiert werden, ist die Fusionsfähigkeit erschwert. Es kommt zu Doppelbildern (Diplopie) – dabei ist das Simultansehen noch möglich, das räumliche Sehen jedoch eingeschränkt. Eine weitere Folge kann sein, dass der Seheindruck des schielenden Auges unterdrückt wird (Suppression), was eventuell zu einer Amblyopie oder Schwachsichtigkeit des schielenden Auges führt, bei der die Sehschärfe gemindert ist. Gerade Kinder sollten im Rahmen der Früherkennung auf solche Sehstörungen hin untersucht werden, um frühzeitig eine entsprechende Therapie einleiten zu können. Mögliche zugrunde liegende Pathologien sind z. B. manifestes Schielen / Begleitschielen sowie Mikrostrabismus.
Wie wird das Binokularsehen untersucht?
In der Augenheilkunde und Orthoptik ist die Untersuchung und Korrektur einer Fehlsichtigkeit eine wichtige Voraussetzung für die Beurteilung der Binokularfunktionen. Beurteilt werden sowohl motorische als auch sensorische Aspekte des beidäugigen Sehens. Es gibt unterschiedlichste Augenuntersuchungen und Testmethoden für das Binokularsehen. Zum Einsatz kommen apparative Methoden oder Testverfahren im freien Raum, sie können durch den Augenarzt, die Orthoptistin oder den Optometristen durchgeführt werden. Insbesondere Orthoptistinnen befassen sich oftmals gezielt mit der Untersuchung des beidäugigen Sehens. Sie sind beispielsweise an einer Sehschule beschäftigt, die meist an ein Universitätsklinikum oder eine Augenarztpraxis angegliedert ist. Auf diese Weise ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Augenarzt möglich.
Die orthoptische Diagnostik umfasst unter anderem die Beurteilung von Kopffehlhaltungen sowie der Lid- und Augenstellung. Ziel ist es, erste Hinweise auf Störungen der Augenbewegungen (Okulomotorik) zu erhalten und Stellungsfehler sowie Motilitätsstörungen der Augen zu erkennen, z. B. Schielerkrankungen und Augenzittern. Weiterhin zählen beispielsweise der Brückner-Test und die Messung der Hornhautreflexe (Hirschberg-Test) zu den üblichen Diagnosemethoden. Das wichtigste Verfahren zur Ermittlung eines manifesten oder latenten Schielens ist der Auf- und Abdecktest bzw. Uncover- und Covertest. Beim Abdecktest fordert die Orthoptistin den Patienten auf, ein Objekt mit den Augen zu fixieren. Im Wechsel wird ein Auge abgedeckt und beobachtet, ob das nicht bedeckte Auge eine Einstellbewegung ausführt. Je nach Testverlauf sind Modifikationen notwendig, um z. B. sehr kleine Schielwinkel erkennen zu können. Durch die Messung des Schielwinkels in unterschiedlichen Positionen kann festgestellt werden, welche Augenmuskeln in ihrer Funktion gestört sind. Zur Prüfung der Winkelfehlsichtigkeit (Heterophorie) gibt es die Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase. Dabei wird mithilfe der Prismenkorrektur ein möglicher Bildlagefehler nachgewiesen. Der Schober-Test ist ein subjektives Verfahren zur Feststellung der Heterophorie. Daneben gibt es noch weitere Teste zur Bestimmung von Störungen der Augenbewegungen und Einschränkungen des Blickfeldes. Im Bereich der Sensorik werden besonders die Fusionsfähigkeit und das räumliche Sehvermögen begutachtet. Mit dem Bagolini-Test prüft man die Qualität des Simultansehens und die Fusionsfähigkeit. Stereoteste, wie der LANG-Stereotest oder Titmus-Test (Stereotest Hausfliege), dienen der Beurteilung des räumlichen Sehens.